Das Geschehene ist fast tragisch. Ein Imperium, ein Lebenswerk stürzt ein. Ein Vater sieht zu, wie seine zwei Kinder zu Haft verurteilt werden. Und trägt in hohem Maße eine Mitverantwortung. Die Justiz hat ihn quasi begnadigt. Wie lebt er damit? Wie lebt die Familie damit? Und – ist das gerecht?
Ich gebe zu – die Geschehnisse um das ehemalige Drogerie-Imperium „faszinieren“ mich. Schon vor einigen Jahren, als es noch um rüde Arbeitsbedingungen ging. Oft fragte ich mich, wie Jemand gestrickt ist, dessen Taten ein Mangel an Gewissen vermuten lässt. Für den Wirtschafts-Ethik wohl ein Fremdwort ist. Was treibt ihn an? Wann hat er genug, der Metzgerssohn und studierte Lebensmittelhändler aus der baden-württembergischen Provinz? Was opfert er bereitwillig für sein Verständnis von Erfolg? Aus der Ferne betrachtet hieß es vermutlich: höher, schneller, weiter! Ungeachtet nachhaltiger Aspekte sowieso, der eines ehrbaren Kaufmannes zudem.
Ist Anton Schleckers Geschichte die eines Mannes und Familienunternehmers, der etwas unternahm, um der Gesellschaft etwas zu geben und seinen Nachfolgern zu hinterlassen? Oder war er davon angetrieben, nur sich und anderen seine Leistungsfähigkeit und Machtposition zu bestätigen? Und reich zu sein?
Natürlich, ich kann nur zusammenreimen, was ich den Medien entnehme (ordentliches Journalistenhandwerk vorausgesetzt*), in denen es seit Prozessende still geworden ist. Keiner fragt weiter nach.
The winner lost it all
Anton Schleckers größter Erfolg war aus meiner Sicht, eine Marktlücke zu finden und daraus ein für damalige Verhältnisse neues Geschäftsmodell umzusetzen. Rasend schnell zu expandieren. Von Beginn an ermöglichte ihm das weniger sein vorausschauendes Kostenbewusstsein als Unternehmer, sondern sein Geiz. Und sein findiger Biss. Beides bekam er vom Vater in die Wiege gelegt, heißt es. Unnötige Geldausgaben waren ihm zuwider. Die nahm er fast persönlich, lese ich.
Ja, es ist äußerst respektabel, dass er innerhalb von 30 Jahren ein Imperium mit 50.000 Mitarbeitenden aufbaute, mit Filialen in 17 Ländern. Er hat sich jedoch weniger mit Ruhm, dafür oft mit Schande bekleckert. Als Arbeitgeber, Geschäftspartner und Führungskraft. Und es könnte als geschäftstüchtig gelten, dass er es vermochte, seine Lieferanten durch extrem lange Zahlungskonditionen als Banken zu nutzen. Doch es ging ihm wohl nie um Win-Win-Situationen, sondern stets um seinen Vorteil. Deshalb dachte er nicht lang-, sondern kurzfristig. Das bezahlt er nun „teuer“. Er opferte seinen Ruf und sein Lebenswerk.
Und seine Kinder?
Sind die Kinder ins Messer gelaufen?
Juristisch betrachtet ist geklärt: Anton Schlecker, dem Unternehmer, konnte lediglich vorsätzlicher Bankrott nachgewiesen werden. Also kommt er mit einer Bewährungsstrafe davon. Maike und Lars Schlecker hätten es als Betriebswirte besser wissen müssen – Bankrott, Untreue und Insolvenzverschleppung steht unter ihrer Bilanz. Und wird mit jeweils fast drei Jahren Haftstrafe unterstrichen, es sei denn das Berufungsverfahren kommt zu einer neuen Sicht auf die Dinge. Immerhin hat Schlecker seine Kinder zumindest auf dem Papier als Feuerlöscher ins Unternehmen geholt, als es bergab ging. Nicht ohne die Geschicke tatsächlich weiter zu lenken, heißt es. Doch – sie waren offenbar kompetent, geschäftstüchtig und verantwortlich. Sie haben Ja gesagt.
Und sie haben das Schlecker-Gen.
Wer äußerst wohlhabend aufwächst, hat andere Selbstverständlichkeiten und Relationen, was Eigentum, Konsum usf. angeht. In Krisensituationen gelten womöglich andere Regeln (ohne dies rechtfertigen zu wollen). Und wer die Firma quasi als wichtigstes Geschwisterkind immer am Tisch sitzen hat, kennt seinen Platz in der Rangfolge. Konnten die Schlecker-Kinder mit Eltern wie Anton und Christa überhaupt zu selbstbestimmten und kritisch denkenden Nachfolgern heranwachsen? Mit Anton, dem Vater, der schon als kleiner Junge mehr Arbeitskraft als Sohn war? Und der mit 30 ungefragt zum Nachfolger gemacht wurde? Der eine gutherzige Mutter zu haben schien, die ihre Führsorge versteckt zum Ausdruck brachte? Und die mit Christa eine Mutter haben, die für den übermächtigen Vater das „Grobe“ erledigte und Arbeitnehmende als Möbelstück betrachtet?
Maike und Lars Schlecker wuchsen in komfortablen Umständen auf, genossen sehr gute Ausbildungen. Eine Beziehung zu den Eltern, die auf gegenseitiger Achtung, einer gesunden Streitkultur und Selbstbestimmung basiert, in der aufrichtige Gespräche mit den Eltern geführt wurden (und nicht mit dem Unternehmerpaar), sind für mich schwer vorstellbar.
Sie haben vermutlich nicht gelernt, dem Vater und der Mutter die Stirn zu bieten. Sie haben wahrscheinlich nicht mal gelernt, Defizite in Erwägung zu ziehen und an ihnen zu arbeiten.
Glauben Sie, dass die Kinder des Patriarchen Schlecker sehenden Auges ins Messer gelaufen sind? Und glauben Sie, dass die beiden von ihren Eltern auf Ihre Rollen als potentielle (!) Unternehmenslenker und -nachfolger ordentlich vorbereitet wurden?
Wer opfert am Ende wen?
Ich lese, dass Anton Schlecker seine Tochter Maike 2012 die Insolvenz seines Imperiums verkünden ließ. Nach 35 Jahren die erste Pressekonferenz. Dies befremdet mich außerordentlich: Ein Vater, der den Unternehmenszerfall zu verantworten hat ist in der Lage, seine Tochter vorzuschicken. Und sie erfüllt diesen Auftrag!
Wodurch sind die Mitglieder dieser Unternehmerfamilie tatsächlich verbunden? Und was bleibt nun übrig?
Maike und Lars Schlecker jedenfalls akzeptieren das Hafturteil nicht. Natürlich, wer will schon ins Gefängnis. Ob sie erkennen, welchen Beitrag sie geleistet haben? Das Reflektierende und Selbstkritische dürfte ihnen nicht in die Wiege gelegt worden sein, so meine Vermutung. Und ich befürchte zudem, dass sie sich nicht auf den Weg machen werden, die Geschehnisse zu verstehen, die Komplexität zu begreifen. Und einfach Kinder ihrer Eltern zu sein, die große Fehler gemacht haben.
Es wurde Recht gesprochen. Doch es versöhnt nicht, es lehrt wahrscheinlich Nichts. Wem ist damit genüge getan? Und - wie ist Ihre Meinung zu den Geschehnissen?
Quellen: ZEIT, Spiegel, Wirtschaftswoche, Süddeutsche
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