wie du ein besseres Mass findest
Selbstbestimmt sein - also eigenständig, eigenverantwortlich und nach eigenem Willen handeln. Sich eben nicht dem Willen Anderer bzw. Anforderungen von Außen unfreiwillig unterwerfen. Fremdbestimmung empfinden Viele. Im Job, in der Familie. Es ist (unter normalen Umständen) zumindest gut möglich, seinem "inneren Betriebssystem" näher auf die Spur zu kommen und vor allem: ein Update zu trainieren. Schauen wir uns an, was uns antreibt oder ausbremst. Und wie Veränderung trainiert werden kann. Ich bin sicher, du nimmst heute etwas mit, das in deinem täglichen Spinning mit etwas Übung Wirkung zeigt!
sei stark und streng dich bloss an!
Ich habe früher jahrelang 50-60 Stunden die Woche gearbeitet. Für ein zunächst lausiges Gehalt in der Werbung. Danach im internationalen Marketing als Führungskraft habe ich etliche Abende fast allein im dritten Stock in meinem schicken Büro gesessen. Zum Glück hatte ich KollegInnen, die ein ähnliches Spiel mit sich spielten, so war es nicht ganz so unheimlich.
Als ich mich selbständig machte und zwei Töchter hatte, habe ich mir wieder nächtliche Stunden um die Ohren gehauen. Nicht, weil die Kids mich wach hielten, sondern weil ich neben einem Teilzeitjob, Kids, Haus und Co. sehr, sehr oft dann weiter arbeitete, wenn Andere zum Sport gingen, Freunde trafen oder auf dem Sofa lümmelten und ihren Liebsten tief in die Augen schauten. Das machte ich obendrauf, statt einfach mal nichts zu tun. Und natürlich: Meinem Liebsten hörte ich damals - zumindest was seine häufigen Bedenken betraf - nicht zu.
Meine Jobs machte ich so viele Jahre gerne und sehr erfolgreich. Und mir war klar: Erfolg zu haben bedeutete reichlich Schweißperlen auf der Stirn. Keine Extrameile sparte ich aus. Ich bin dann ja auch zwei Mal mächtig auf die Nase gefallen. Gesundheitlich.
Inzwischen weiß ich: Mein Motor war von "Sei stark und streng dich an!" angetrieben. Und der hatte mächtig PS! Heute: kopfschüttel und erleichtertes Verständnis für mich und meinen Wahnsinn. Innere Antreiber sind eben mächtig!
Exkurs: innere antreiber
Du weißt es bestimmt: Zugehörigkeit und Anerkennung zählen zu unseren Grundbedürfnissen. Und deshalb sind die Botschaften, die wir als Kinder erfahren, sehr mächtig. Wir lernen u. a. über Ge- und Verbote, entwickeln so ein Selbstbild und bauen unbewusst unser inneres Betriebssystem. Wie funktionieren wir so, dass wir dazugehören und richtig sind, wie wir sind? Die Erwartungen Anderer formen und bestimmen damit wesentlich unsere Eigenarten, unser Verhalten.
Unser Handeln basiert also auf verinnerlichten elterlichen Haltungen und Erwartungen. Sie sind zu unseren geworden. Sogenannte innere Antreiber zeigen sich als unbewusste Automatisierungen, die unser Denken, Fühlen und Verhalten lenken.
Aus der sogenannten Transaktionsanalyse kennen wir fünf Antreiber:
- Sei immer perfekt!
- Sei immer stark!
- Beeil dich immer!
- Sei (anderen) immer gefällig und
- Streng dich immer an.
Damit bilden wir positive Eigenschaften aus wie z. B. Genauigkeit, Stärke, Schnelligkeit, Freundlichkeit und Durchhaltevermögen. Wenn wir nun diese Eigenschaften situativ übertrieben ausleben, dann wählen wir nicht frei. Unsere Antreiber zwingen uns quasi dazu bspw. erst zufrieden zu sein, wenn wir eine Aufgabe (scheinbar) perfekt erledigt haben. Wir schießen über ein vernünftiges oder gar gesundes Maß hinaus. Und gerade in stressigen oder konfliktreichen Situationen sind die Antreiber überaus mächtig; sie prägen unsere Denk- und Ausdrucksweise. Das äußerst sich dann in unserer gesamten Kommunikationspalette wie Sprache, Verhalten, Herangehensweise, Körperhaltung und Mimik.
Wir alle haben Facetten aller fünf Antreiber in uns, zwei sind i. d. R. besonders stark ausgeprägt.
Ein Beispiel: Markus ist ein echt netter Kerl. Er hat das "Sei immer gefällig" verinnerlicht. Wann immer er eine Sache eigentlich nicht wirklich will, er schon mehr als genug auf dem Tisch hat oder jemand seine Grenze überschreitet, sollte man meinen, dass er sich behauptet, abgrenzt usf. Das Gegenteil ist besonders in herausfordernden Situationen der Fall. Frei nach dem Motto "viel hilft viel" bleibt Markus freundlich und gefällig, um die konflikthafte Situation abzuwenden und provoziert damit im ungünstigsten Fall noch mehr Grenzüberschreitung durch sein Gegenüber. Sein unbewusster Antreiber hat ihn eben fest im Griff! Selbstbestimmung? Fehlanzeige!
Antreiber erwarten 100% Hingabe von uns, so lange sie nicht hinterfragt und reflektiert werden. Wer als Kind ein Verhaltensmuster gemäß Antreiber verinnerlicht hat, sucht stets Antworten auf die Frage bzw Sehnsucht nach: Bin ich in Ordnung, werde ich gemocht, gehöre ich dazu? Markus z. B. erlebt sich so lange als o.k., wie er gefällig ist.
So sind wir eben, wir Menschenkinder. Gut, dass wir ausbrechen können, wenn es zuviel wird.
ausbruch: mehr selbstbestimmung
Wie gesagt - Antreiber haben grundsätzlich positive Seiten. Markus etwa besticht durch seine Hilfsbereitschaft, er hat in seinem Team ein Auge auf den guten Spirit und wird von Vielen gemocht. Wenn er irgendwann lernt, das Zuviel abzulösen und z. B. öfter Nein sagt, könnte er sich als Störfaktor wahrnehmen, denn er wird womöglich nun nicht mehr von allen gemocht, seine Ordnung gerät durcheinander. Er empfindet dann Unsicherheit, vielleicht sogar Ängste, denn das Gefühl hängt dem veränderten Verhalten zunächst hinterher. Doch nach und nach wird sich das angleichen und neue Gewohnheiten greifen fast so automatisch wie der innere Antreiber.
Wenn du genauer wissen möchtest, wie diese Antreiber entstehen, dann lies dieses Buch. Ein absoluter Augenöffner!
Antreiber und ihre PS im Job
Abschließend will ich dir noch mit ein paar Beispielen deutlich machen, wie die inneren Antreiber sich beruflich zeigen könnten und welche sogenannten Erlauber, das sind wenn du so willst Gegenkräfte, sie aushebeln können:
1. Optimieren bis ins Detail.
Mit dem Antreiber Sei immer perfekt! gilt Perfektion vor Einsatz. "Wenn ich keine Fehler mache, dann bin ich liebenswert" lautet der Glaubenssatz. Erlauber: 85% reichen völlig, denn auch ich darf mal einen Fehler machen.
2. Problem? Erkannt und gebannt. Auch die der Anderen.
Sei immer stark! lautet dieser Antreiber. Hier gilt Autarkie vor Zusammenhalt. "Besser selber machen, statt vertrauen" heißt dieser Glaubenssatz. Erlauber: Ich darf mich zuweilen auf die Anderen verlassen.
3. Lieber schnell als genau oder richtig.
Der Antreiber Beeil dich immer! führt zu Tempo vor Resultat. Die Schnellen haben "Ich verpasse andauernd das Wesentliche, niemand interessiert sich für mich" verinnerlicht. Erlauber: Ich darf mir Zeit nehmen.
4. Anderen zu helfen ist ein Muss, auch ungefragt.
Sei (anderen) immer gefällig!, lautet dieser Antreiber und der Glaubenssatz dazu "Wenn ich es allen recht mache, dann bin ich wertvoll!". Erlauber: Auch ich darf mir etwas Gutes tun, auch ich bin wichtig."
5. Leistung und Effizienz sind Trumpf
Streng dich an! - das ist der Antreiber mit dem Glaubenssatz "Nur was schwer ist, hat Bedeutung. Ich bin nicht genug und muss mich immer anstrengen." Der Erlauber: Ich darf innehalten. Ich bin genug.
was wahrheit und was wirklichkeit ist
Für mich galt lange die Wirklichkeit: "Wenn ich leiste, dann bin ich. Und Probleme kann ich immer noch am besten lösen. Am besten alleine." Zwei mittelschwere Tornados haben mich umgehauen, bis ich begriff: da müssen die Erlauber her. Ich kannte ja das Konzept der Transaktionsanalyse aus meinen zwei Coaching-Ausbildungen längst. Oje, wie war das mit dem Schuster und den schiefen Sohlen?
Jedenfalls - eine Zeit lang bewegte ich mich gefühlt auf recht dünnem Eis, wenn ich Andere z. B. um Hilfe gebeten habe. Ein offiziell erlaubter Rahmen wie meine Mastermind-Gruppe war ein gutes Übungsfeld. Und mittlerweile habe ich Astrid Lindgrens Spruch "Und dann muss man ja immer noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hinzuschauen" verinnerlicht. Wer meinen Podcast kennt weiß, das, denn ich beende jede Episode damit.
Ich übe weiter, denn was mich so lange ausmachte streife ich nicht wie einen alten Mantel ab. Und ich bewahre das Gute meiner Antreiber. Denn sie haben mich auch dahin gebracht, dass ich mich heute als recht selbstbestimmt erlebe. Und dass ich geeignete Strategien zur Hand habe, wenn es in besonderen Phasen doch mal etwas zu viel wird mit dem Gefühl fremdbestimmt zu sein. Der Weg dahin lohnt sich immens!
Die Wahrheit ist: Meine Wirklichkeit war nicht in Stein gemeisselt.
Ich weiß natürlich, dass es Umstände gibt. Im Job. In der Familie. Auf dem Bankkonto. In der Gesellschaft. Und wie schrieb neulich ein Bekannter auf einem sozialen Netzwerk: "Wirklich frei sind wir wohl nur, wenn wir wie Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel leben."
Ich glaube ja fest - auch das ist nur ein weiterer Glaubenssatz!
Lässt du mich wissen, welche Glaubenssätze du noch kennst? Und welche Strategien für dich gut funktionieren? Ich bin gespannt und sage Merci fürs Teilen!
Happy day, Cornelia
Bildquellen: taisiia-stupak-viq7xx1boxo-unsplash und anqi-lu-LOFpx8W6uA4-unsplash